Vatikan

Johannes Paul II. - Generalaudienz

- Papst Johannes Paul II.: Generalaudienz
8. November 2000, Die Eucharistie als Sakrament der Einheit

Die Eucharistie als Sakrament der Einheit

Liebe Schwestern und Brüder!

1. »O Sakrament der Ehrfurcht! O Zeichen der Einheit! O Band der Liebe!«
Der Ausruf des hl. Augustinus in seinem Kommentar zum Johannesevangelium (In Johannis Evangelium, 26,12; [KKK, 1398]) ist gleichsam eine ideelle Wiederaufnahme und Zusammenfassung der Worte, die Paulus an die Korinther richtete und die wir soeben gehört haben: »Ein Brot ist es. Darum sind wir viele ein Leib; denn wir alle haben teil an dem einen Brot« (1 Kor 10,17). Die Eucharistie ist das Sakrament und die Quelle der kirchlichen Einheit. Dies wurde von den Anfängen der christlichen Überlieferung an bestätigt, und zwar gerade aufgrund der Zeichen von Brot und Wein. In der Didachè, einem in den Anfangszeiten des Christentums entstandenen Text, lesen wir: »Wie dieses gebrochene Brot auf den Bergen zerstreut war und zusammengebracht eins wurde, so möge Deine Gemeinde von den Enden der Erde zusammengebracht werden in Deinem Reich« (9,4; in: Bibliothek der Kirchenväter, Bd. 35, Kempten/München 1918, S. 11).

2. Der hl. Cyprian, Bischof von Karthago, knüpft im 3. Jahrhundert an diese Worte an, wenn er schreibt: »Die durch das feste und unzertrennliche Band der Liebe eng verknüpfte christliche Einmütigkeit wird ferner auch durch die Opfer des Herrn selbst bestätigt. Denn wenn der Herr seinen Leib als Brot bezeichnet, das aus der Vereinigung vieler Körner entstanden ist, so weist er damit auf unser geeinigtes Volk hin, das er trug, und wenn er sein Blut Wein nennt, wie man ihn aus einer Masse von Trauben und Weinbeeren preßt und gewinnt, so meint er ebenfalls unsere Herde, die sich aus der Mischung einer großen vereinigten Menge zusammensetzt« (Brief an Magnus, in: Bibliothek der Kirchenväter, Bd. 60, Kempten/München 1928, S. 311). Diese Symbolik der Eucharistie, die Bezug nimmt auf die Einheit der Kirche, findet sich bei den Vätern und scholastischen Theologen recht häufig. »Das Konzil von Trient hat ihre Lehre zusammenfassend erklärt, daß unser Heiland in seiner Kirche die Eucharistie hinterlassen habe ›als ein Symbol … ihrer Einheit und der Liebe, und er wollte, daß durch sie alle Christen unter sich verbunden seien, und als ein Symbol jenes einen Leibes, dessen Haupt er selbst ist‹« (Paul VI., Mysterium fidei; vgl. Konzil von Trient, Decr. de SS. Eucharistia, Prooem. und Kap. 2). Der Katechismus der Katholischen Kirche faßt dies eindrucksvoll zusammen: »Wer die Eucharistie empfängt, wird enger mit Christus vereint. Dadurch vereint ihn Christus auch mit allen Gläubigen zu einem einzigen Leib: zur Kirche« (KKK, 1396).

3. Diese traditionelle Lehre ist tief in der Schrift verwurzelt. In dem schon zitierten Abschnitt aus dem Ersten Korintherbrief entwickelt Paulus sie weiter; er geht dabei von einem Hauptthema aus, nämlich der »koinonía«, d. h. der Gemeinschaft, die in der Eucharistie zwischen dem Gläubigen und Christus entsteht. »Ist der Kelch des Segens, über den wir den Segen sprechen, nicht Teilhabe (»koinonia«) am Blut Christi? Ist das Brot, das wir brechen, nicht Teilhabe (»koinonia«) am Leib Christi?« (10,16). Diese Gemeinschaft wird im Johannesevangelium noch deutlicher dargestellt, nämlich als einzigartiges Verhältnis »gegenseitiger Innerlichkeit«: »Er in mir und ich in ihm.« Jesus erklärt nämlich in der Synagoge von Kafarnaum: »Wer mein Fleisch ißt und mein Blut trinkt, der bleibt in mir, und ich bleibe in ihm« (Joh 6,56).

Dasselbe Thema wird auch in den Reden des Letzten Abendmahls durch das Symbol des Weinstocks herausgestellt: Die Rebe kann nur dann grünen und Frucht bringen, wenn sie am Weinstock bleibt, von dem sie Lebenssaft und Kraft erhält (Joh 15,1–7). Sonst ist sie nur ein verdorrter Ast, der ins Feuer geworfen wird; »aut vitis aut ignis«, »entweder der Weinstock oder das Feuer«, kommentiert der hl. Augustinus hierzu lapidar (In Johannis Evangelium, 81,3; in: Bibliothek der Kirchenväter, Bd. 19, Kempten/München 1914, S. 123). Es zeichnet sich hier eine Einheit, eine »Communio« ab, die sich zwischen dem Gläubigen und dem in der Eucharistie gegenwärtigen Christus verwirklicht, und zwar auf der Grundlage des Grundsatzes, den Paulus folgendermaßen formuliert: »Haben die, welche von den Opfern essen, nicht teil am Altar?« (1 Kor 10,18).

4. Diese Gemeinschaft-»koinonia« ist »vertikaler« Art, weil sie uns mit dem göttlichen Mysterium verbindet; gleichzeitig schafft sie eine Gemeinschaft- »koinonia«, die wir als »horizontal«, also kirchlich und brüderlich bezeichnen könnten, da sie alle Teilnehmer am selben Mahl in einem Liebesband zu vereinen vermag. »Darum sind wir viele ein Leib« – sagt uns Paulus – »denn wir alle haben teil an dem einen Brot« (1 Kor 10,17). Die Rede über die Eucharistie nimmt jene große Reflexion über die Kirche vorweg, die der Apostel im 12. Kapitel desselben Briefes entwickeln wird, wenn er vom Leib Christi in seiner Einheit und Vielfalt spricht. Auch die berühmte Beschreibung der Kirche von Jerusalem, die Lukas in der Apostelgeschichte vornimmt, zeigt diese brüderliche Einheit oder »koinonia« auf und bringt sie in Verbindung mit dem Brechen des Brotes, d. h. mit der Eucharistiefeier (vgl. Apg 2,42). Es ist eine Gemeinschaft, die sich unter den konkreten Bedingungen der Geschichte vollzieht: »Sie hielten an der Lehre der Apostel fest und an der Gemeinschaft (»koinonia«), am Brechen des Brotes und an den Gebeten […] Und alle, die gläubig geworden waren, bildeten eine Gemeinschaft und hatten alles gemeinsam« (Apg 2,42.44).

5. Wenn man also die Eucharistie feiert, ohne die Anforderungen der Nächstenliebe und Gemeinschaft zu berücksichtigen, verleugnet man ihre tiefe Bedeutung. Mit strengen Worten äußert sich Paulus hierzu gegenüber den Korinthern, denn ihre Zusammenkünfte waren wegen der Spaltungen, Ungerechtigkeiten und Egoismen »keine Feier des Herrenmahls mehr« (1 Kor 11,20). In diesem Fall ist die Eucharistie nicht mehr »agape«, also Ausdruck und Quelle der Liebe, und wer unwürdig an ihr teilnimmt, ohne sie also in brüderliche Liebe umzusetzen, »der zieht sich das Gericht zu, indem er ißt und trinkt« (1 Kor 11,29). »Wenn nämlich das Leben der Christen in der Erfüllung des größten Gebots besteht, in der Liebe zu Gott und dem Nächsten, so findet diese Liebe ihre Quelle gerade im allerheiligsten Altarsakrament, das ja auch oft Sakrament der Liebe genannt wird« (Dominicae coenae, 5).

Die Eucharistie erinnert an diese Liebe, sie vergegenwärtigt und schafft sie. Folgen wir also dem Aufruf des Bischofs und Märtyrers Ignatius, der die Gläubigen von Philadelphia in Kleinasien zur Einheit ermahnte: »Es ist nur ein Fleisch unseres Herrn Jesu Christi und nur ein Kelch zur Einigung mit seinem Blute, nur ein Altar, wie nur ein Bischof ist« (Ep. ad Philadelphenses, 4; in: Bibliothek der Kirchenväter, Bd. 35, Kempten/München 1918, S. 143). Und mit den Worten der Liturgie beten wir zu Gott Vater: »Stärke uns durch den Leib und das Blut deines Sohnes und erfülle uns mit seinem Heiligen Geist, damit wir ein Leib und ein Geist werden in Christus« (Drittes Hochgebet).

Die Eucharistie ist das Zeichen der Einheit der Gläubigen mit Jesus Christus und untereinander. Sie ist das Sakrament und die Quelle der kirchlichen Gemeinschaft. Die christliche Überlieferung hat dies von Anfang an durch die Zeichen von Brot und Wein zum Ausdruck gebracht: Das Brot besteht aus vielen Körnern. Der Wein wird aus den Beeren vieler Trauben gewonnen.

Durch die Teilnahme am eucharistischen Mahl werden die Gläubigen mit Jesus Christus und miteinander verbunden. So wächst und ereignet sich Kommunion. Dabei zeigt sich eine vertikale Gemeinschaft, die uns auf wunderbare Weise mit Gott vereint, und eine horizontale, die uns in der Kirche zu Brüdern und Schwestern macht. Gottes Liebe versammelt seine Kinder um den einen Tisch. Die dort empfangene Liebe müssen die Gläubigen im Alltag leben und weitergeben. Daran erkennt man die wahren Jünger Jesu.

Liebe deutschsprachige Pilger und Besucher, ich begrüße euch sehr herzlich. Euer Aufenthalt in Rom möge zu Tagen des Heiles werden. Der Gang durch die Heilige Pforte sei euch ein Ansporn, euren Lebensweg immer mehr auf Christus auszurichten. Dazu erteile ich euch und allen, die mit uns über Radio Vatikan oder das Fernsehen verbunden sind, den Apostolischen Segen.